Ein Zuschauer im Kino erkennt sich in der Figur auf der Leinwand wieder

Ein mächtiges Werkzeug
Warum Geschichten erzählen?

Geschichten sind tief in unserer menschlichen Natur verankert. Seit jeher erzählen wir sie uns am Lagerfeuer, in Büchern, Filmen oder digitalen Medien.

Für das Publikum eröffnen sie Einblicke in mehr oder weniger fremde Welten, andere Perspektiven und unterschiedliche Lebenswege.

Erzählende können eine besondere Verbindung zu ihrem Publikum schaffen. Sie können eine Form nutzen, die Verstand UND Herz gleichermaßen anspricht.

Schöpfer*in sein

Wer Geschichten nicht nur konsumieren, sondern selbst erzählen möchte, ihre Kraft nutzen und gezielt einsetzen, der*die tritt in eine andere, herausfordernde Rolle: die des aktiven Schaffenden.


Geschichten zu erzählen ist eine Kunst – und gleichzeitig ein Handwerk. Es ist zudem eine erfüllende Aufgabe, die uns die Möglichkeit gibt, Welten zu erschaffen, Menschen zu berühren und Perspektiven mit anderen zu teilen. Eine Aufgabe, die vielleicht mehr und mehr an Wichtigkeit gewinnt.

Doch wie jede Kunstform erfordert das Geschichtenerzählen nicht nur den Willen dazu, sondern auch Technik. Figuren zum Leben zu erwecken, Konflikte spannend zu gestalten und emotionale Wahrhaftigkeit zu erzeugen, sind Fähigkeiten, die sich durch Übung und Methode erlernen lassen.

Handwerk als Fundament


Manchmal wird die Vorstellung gepflegt, großartige Geschichten entstünden allein durch Inspiration oder den sprichwörtlichen Musenkuss.

Doch die Wahrheit ist: Gute Geschichten basieren auf solidem Handwerk. Dazu gehören der Aufbau von Spannungsbögen, die Entwicklung komplexer Figuren, die Beherrschung von Dialogen und das Wissen um die Wirkung von Dramaturgie. Dieses Handwerk zu erlernen, ermöglicht es uns, die Freiheit zu erlangen, unsere Geschichten so zu gestalten, wie sie in uns schlummern – statt dem Zufall zu überlassen, ob sie gelingen.

Autorin reitet auf der Seiten spuckenden Schreibrakete

Eine Angst, die manche dabei haben, die wir dir gleich nehmen können: Wer das Handwerk des Geschichtenerzählens beherrscht, verliert nicht etwa die Fähigkeit, Geschichten passiv genießen zu können – im Gegenteil.

Durch ein besseres Verständnis für die Mechanismen hinter der Handlung, die Komplexität der Figuren und die Struktur der Erzählung können wir als schreibende Konsumierende noch tiefer eintauchen. Wir erkennen Details, die uns zuvor verborgen blieben, und erleben Geschichten bewusster. Das macht den Genuss nicht weniger magisch, sondern oft sogar intensiver.

Erfüllung des Erzählens

Geschichten zu erzählen ist eine der erfüllendsten Aufgaben, die wir uns vornehmen können. Es erfordert Hingabe, Geduld und den Willen, immer weiter zu lernen. Doch es bietet uns die einzigartige Chance, etwas von uns selbst mit der Welt zu teilen – ob durch Fantasie, Wahrheit oder eine Mischung aus beidem.

Indem wir das Handwerk meistern, gewinnen wir nicht nur die Fähigkeit, andere zu begeistern, sondern auch ein tieferes Verständnis für uns selbst und die Menschen um uns herum.

Warum uns Geschichten fesseln

Splitscreen: Zuschauer langweilt sich im Kino, Zuschauer ist gefesselt

Aber warum haben Geschichten so eine Macht?

Nunja, gute Geschichten umgehen schlicht und einfach unsere „Abwehrmechanismen“. Anders als bei rationalen Fakten, die wir sofort analysieren, hinterfragen oder durch Vorurteile und Glaubenssätze ablehnen, ziehen uns Geschichten direkt in ihre Welt.

Geschichten wirken auch im Unterbewusstsein. Wir fühlen mit Figuren, weil wir ihre Kämpfe, Zweifel und Hoffnungen nachempfinden können. Diese emotionale Resonanz bindet uns an die Erzählung – wir wollen wissen, wie es weitergeht, weil es unserem menschlichen Erleben so nahe ist, und es sich anfühlt, als würde es auch uns betreffen.

Gute Geschichten wirken so auf zwei Ebenen. Einerseits sprechen sie unsere Gefühle an und sorgen dafür, dass wir mit den Figuren mitfiebern. Andererseits sind sie so geschickt konstruiert, dass sie uns unbewusst an unsere eigenen Erfahrungen erinnern. In jedem Konflikt und jeder Wendung spüren wir Parallelen zu unserem eigenen Leben, auch wenn wir das nicht sofort erkennen.

Der Kreislauf des Scheiterns und Lernens

In jeder Geschichte spiegelt sich ein wiederkehrendes Muster, das auch unser reales Leben prägt:

  • Wir setzen uns Ziele,
  • treffen auf Widerstände,
  • und … scheitern.

Dieses Scheitern ist jedoch eine Chance, denn nur durch das Scheitern können wir lernen. Aus diesem Scheitern kann neue Kraft wachsen. Und entweder du gewinnst oder du lernst.

Geschichten lassen das Publikum diesen Prozess stellvertretend miterleben.

Wenn eine Heldin oder ein Held scheitert und sich anschließend aufrafft, erkennen wir darin womöglich auch, dass Fehler kein endgültiges Versagen bedeuten, sondern eine Chance zum Umdenken und Wachsen sind.

Auf diese Weise können wir direkt oder indirekt Mut schöpfen und lernen, unsere eigenen Hindernisse mit mehr Zuversicht anzugehen.

Kernfunktionen des Geschichtenerzählens

Wenn wir uns das genauer anschauen, dann können Geschichten eine Reihe von Aufgaben erfüllen – für das Publikum und Erzählende.

1. Werte & Traditionen

Geschichten bewahren und vermitteln Werte, Normen und Traditionen einer Gemeinschaft. Ob in Märchen, Mythen oder modernen Erzählformen – überall finden sich Hinweise darauf, wie Menschen privat, in der Gemeinschaft oder im Beruf miteinander umgehen, welche Tugenden hochgehalten und welche Fehler als Warnung dargestellt werden.

Indem sie Konflikte und Lösungsansätze aufzeigen, schaffen Geschichten ein gemeinsames Verständnis von dem, was in einer Kultur als richtig oder falsch empfunden wird. Sie stärken so das Gemeinschaftsgefühl und tragen zur Identitätsbildung bei.

Publikum
: Leser*innen, Hörer oder Zuschauerinnen können sich in die dargestellten Situationen hineinversetzen und die zugrunde liegenden Werte erleben, indem die Konflikte „miterlebt“ und die vermittelten Norme so leichter verstanden und akzeptiert werden können.

Erzählende:
 Autor*innen können gezielt Werte und Traditionen in ihre Geschichten einfließen lassen. Durch die Auswahl der Konflikte und deren Lösungen beeinflussen sie, welche Botschaft beim Publikum ankommt und welche Werte besonders betont werden.

2. Wissensvermittlung

Geschichten können Wissen auf ansprechende Weise vermitteln. Sie verpacken Informationen in Handlungen, Figuren und deren Entscheidungen. Diese Verpackung spricht uns nicht nur rational, sondern vor allem emotional an.

Weil wir uns mit den Figuren und ihren Handlungen identifizieren, verstehen und behalten wir das Gezeigte besser. So werden sowohl konkrete Inhalte, Erfahrungen als auch grundlegende Haltungen weitergegeben, ohne dass es sich wie ein Lehrvortrag anfühlt.

Publikum:
 Durch die Identifikation mit den Figuren und das Mitfiebern bei ihren Handlungen nimmt das Publikum Wissen beinahe nebenbei auf. Es steht nicht und nicht alleine im Mittelpunkt. Die Inhalte bleiben so besser im Gedächtnis haften, weil sie mit Emotionen verknüpft sind. (Memo-Techniken verwenden diese Eigenart des Menschen übrigens auch)

Erzählende:
 Wer Geschichten schreibt oder erzählt, kann gezielt Informationen in die Handlung einbauen, ohne dass auffallen oder stören muss. Durch konkrete Beispiele und emotionale Wendepunkte werden komplexe Sachverhalte verständlicher.

3. Persönliche Entwicklung, Selbstreflexion & Heilung

Geschichten bieten einen „geschützten“ Einblick in Krisen, Wendepunkte und Neuorientierungen: „Es ist ja nur eine Figur – nicht ich.“ So kann uns eine Geschichte sogar trösten oder Mut machen, weil wir erkennen, dass Scheitern eben kein Endpunkt ist, sondern ein möglicher Beginn für inneres Wachstum.

Publikum:
 Wenn wir miterleben, wie eine Heldin oder ein Held sich Ziele setzt, scheitert und sich danach aufrappelt, lernen wir stellvertretend aus ihren*seinen Fehlern und Erfolgen. Dieses Mitfühlen schafft Raum, um unser eigenes Denken und Handeln zu reflektieren – ohne die unmittelbaren Konsequenzen, die ein realer Misserfolg mit sich bringen würde.

Leser*innen, Zuschauerinnen oder Hörer dürfen sicher und ohne Risiko an den emotionalen Höhen und Tiefen der Figuren teilhaben. Indem sie sich mit deren Konflikten auseinandersetzen, gewinnen sie eigene Erkenntnisse und können daraus Lehren für ihr eigenes Leben ziehen.

Erzählende:
 Autorinnen und Autoren können das Schreiben gezielt nutzen, um eigene Krisen, Wendepunkte und Erfahrungen zu verarbeiten. Indem sie ihre persönlichen Themen in Figuren und Situationen einfließen lassen, schaffen sie nicht nur authentische Geschichten, sondern geben sich selbst auch einen Raum für eine Art „Selbsttherapie“.

Denn als Schreibende Person sind sie in der Position alles passieren oder nicht passieren zu lassen, was sie wollen. Sie können entscheiden und lenken, was in der Realität womöglich anders verlief oder nicht möglich war.

Die erzählte Handlung spiegelt dabei innere und äußere Konflikte wider und ermöglicht es den Schreibenden, Gefühle zu klären, Erfahrungen zu ordnen und dabei Vergangenheit oder Zukunft mitzugestalten.

Gleichzeitig kann das Ergebnis eine tiefgehende emotionale Resonanz beim Publikum auslösen, das sich in den Schicksalen und Entscheidungen der Figuren wiedererkennt und so ebenfalls zum Nachdenken angeregt wird. Dies kann wiederum eine befriedigende Erfahrung für den*die Schöpfer*in sein.

4. Unterhaltung

Und natürlich: Geschichten bieten die Möglichkeit, für einen Moment aus dem Alltag zu entfliehen. Ob es nun ein spannender Krimi, ein episches Fantasy-Abenteuer oder eine romantische Komödie ist – beim Eintauchen in fremde Welten und mitreißende Handlung bleiben Sorgen und Pflichten kurz außen vor. Dadurch können wir uns entspannen und neue Kraft schöpfen.

Publikum:
 Leser*innen, Zuschauer*innen oder Hörer*innen genießen die Geschichten als willkommene Auszeit. Sie lassen sich mitreißen, fiebern mit den Figuren und tauchen in das Geschehen ein. So können sie Alltagsstress vergessen und neue Energie tanken.

Erzählende:
 Autor*innen gestalten Geschichten so, dass sie fesseln und begeistern. Sie entscheiden, wie die Handlung aufgebaut und welche Atmosphäre erzeugt wird. Dabei schaffen sie es, die Lesenden oder Zuschauenden in eine andere Welt zu entführen und ihnen dadurch Momente des Abschaltens und der Erholung zu schenken. Das Schreiben wie auch das Miterleben der Freude des Publikums kann hier für große Erfüllung sorgen.

Ein Drehbuchautor tippt schnell mit fliegenden Fingern auf einer Tastatur – Schreibblockade überwunden

Fazit


Geschichtenerzählen ist etwas wunderbares – es ist eine Fähigkeit, die sich jeder aneignen kann, der bereit ist, daran zu arbeiten. Es verbindet uns mit unserer Kreativität, bringt uns in Kontakt mit unserem Inneren und schafft eine Brücke zu anderen.

Und das Beste daran: Jeder Schritt, den wir gehen, bringt uns nicht nur als Erzählende, sondern auch als Genießer näher an die wahre Essenz der Geschichten heran. 

Als Schreibende können wir das gar nicht genug betonen, welche Freude wir – neben all den Anstrengungen, die es natürlich trotzdem gibt – mit dieser Tätigkeit haben. Gute Geschichten!

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Picture of Robert Krause & Florian Puchert
Robert Krause & Florian Puchert
Wir sind Drehbuchautoren & Professoren für Kreatives Schreiben an der Filmhochschule in München. Mehr zu Robert und mehr zu Florian
Storyboard von Benjamin Kniebe

Lerne mit uns in 40 Minuten die wichtigsten Werkzeuge, um ins Schreiben zu kommen. Ideal, wenn du deine Geschichte schreiben willst – effektiv loslegen willst, einen vollen Alltag oder Zweifel hast.

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Robert und Florian an ihren Arbeitsplätzen