Zwei Männer sind sich sehr nahe

All of us Strangers
Konflikt durch Kontexts

Kein Film hat mich letztes Jahr emotional so ins Mark getroffen, wie ALL OF US STRANGERS. Und das obwohl der Film von melodramatischen Tränendrüsendruck weiter nicht entfernt sein könnte.

Der Film wäre sicher auch eine interessante Fallstudie in Adaption: Immerhin hat Regisseur und Drehbuchautor Andrew Haigh hier den japanischen SF-Horror-Roman von Taichi Yamada zu einer übernatürlichen Arthouse-Lovestory umgewandelt, die vermutlich nur noch ein paar konzeptionelle Ideen mit ihrer Vorlage gemeinsam hat – und sonst völlig eigene Wege einschlägt.

Stattdessen stürze ich mich – mal wieder – auf den Konflikt. Und zwar auf die scheinbare Konfliktfreiheit der ersten wichtigen Sequenzen im II. Akt.

Dabei muss ich SPOILERN, jedoch nicht mehr als der Trailer zum Film: Protagonist Adam (Andrew Scott) trifft auf wundersame Weise in dem Haus, in dem er aufgewachsen ist, auf seine seit 30 Jahren verstorbenen Eltern. Und diese ersten Treffen verlaufen vollkommen harmonisch – ohne offensichtliche Konflikte. Nicht einmal die völlige Unwahrscheinlichkeit dieses Treffens ist für alle Beteiligten ein Problem.

Da wir (und unser Protagonist) aber trotzdem wissen, dass die Eltern in der Realität längst tot sind, bekommt jede dieser positiven Interaktionen einen tragischen Kontext: Die Begegnungen sind unmöglich. Die Eltern existieren nicht mehr. Und der wundersame Zauber, der hier für unsere Hauptfigur wirkt, wird unweigerlich ein Ende nehmen.

Und so werden auch diese harmonischen Szenen durch den erzählerischen KONTEXT sogar mit sehr großem Konflikt aufgeladen.

Der Film ist so ein schöner Reminder, wie mächtig Kontext als erzählerisches Mittel ist. Nicht umsonst hat auch eine andere Love Story auf der TITANIC besonders gut funktioniert …

ALL OF US STRANGERS (2023)
Drehbuch & Regie: Andrew Haigh
Nach dem Roman von Taichi Yamada

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Bild von Florian Puchert
Florian Puchert
Ich bin freier Drehbuchautor, Regisseur und Dramaturg sowie Honorarprofessor für Drehbuch am Lehrstuhl Creative Writing an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Mehr zu mir
Storyboard von Benjamin Kniebe

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