PAST LIVES bietet viele beeindruckende Beispiele, wie ein Film erzählerisch die Erwartungshaltung des Publikums unterlaufen kann: Angefangen bei der Prämisse, über das szenische Detail und somit bis hin zur Tonalität. Gerade im Finale des Films perfektioniert Past Lives dieses „gegen den Strich“ gebürstete Erzählen, das dennoch oder gerade deswegen große Dramatik entfaltet.
Past Lives ist eine kontemporäre Love-Story, die einen Zeitraum von 20 Jahren mit zwei riesigen Zeitsprüngen umfasst, den Liebenden kaum Zeit auf demselben Kontinent lässt und sich in weiten Teilen über Skype entfaltet. Schon daran merken wir: Der Film, der für den Oscar für den besten Film und das beste Original-Drehbuch nominiert wurde, umschifft das Erwartbare.
Die Szene, auf die ich mich hier konzentrieren will, ist spät im Finale des Films platziert. Hier treffen nämlich zum ersten Mal HAE SUNG (Teo Yoo), die „alte Liebe“ der Protagonistin NORA (Greta Lee) und ihr Ehemann ARTHUR (John Magaro) physisch aufeinander.
Und was in den allermeisten Filmen in einem erwartbaren Konflikt aus lauten oder leisen Spannungen resultieren würde, läuft hier völlig harmonisch ab. Etwas, womit wir erstmal nicht rechnen.
Gleichzeitig scheint es auch das Gebot des konfliktreichen Erzählens zu brechen. Predigen wir nicht ständig davon, dass jede Szene Konflikt braucht?
Doch die Szene ist nur auf den ersten Blick ohne Konflikt. In Wahrheit wühlt das Verständnis, das sich die beiden Männer entgegenbringen, das fehlen jedweder Rivalität, die Protagonistin innerlich umso mehr auf. Beide sind „der Richtige“.
Und das macht die Entscheidung, welchen Weg sie gehen soll, umso schwerer.
Es lohnt sich immer, die Erwartungshaltung des Publikums beim Schreiben im Kopf zu haben. Egal, ob man sie nun bedient oder elegant bricht.
PAST LIVES (2023)
Regie & Drehbuch: Celine Song