Figur diskutiert mit Raum voller Menschen, der nur von einer Deckenlampe erleuchtet wird

Drehbücher beurteilen
Was ist ein gutes Drehbuch?

Besonders wer zum ersten Mal ein Drehbuch liest, wird sich vielleicht fragen: „Ist das gut? Woran erkenne ich ein gutes Drehbuch?“ Und auch wer schon mehr (oder auch viel) mit Film zu tun hatte, wird früher oder später ein Drehbuch beurteilen müssen.

In diesem Artikel möchte ich 10 Kriterien für die Beurteilung eines Drehbuchs geben. Dazu unterscheide ich die verschiedenen Arten von Drehbüchern, gehe auf die potenziellen Zielgruppen eines Drehbuchs ein und gebe Tipps, wie du deine Fähigkeit zur Beurteilung trainieren und verbessern kannst.

Denn alle, die mit Drehbüchern zu tun haben, sei es als Schreibende oder Lesende, sollten lernen, Drehbücher qualifiziert bewerten zu können.

Meisterwerk oder Bruchlandung

Bei den Extremen dürfte es klar sein: wenn es sich bei dem Drehbuch schlicht um ein Meisterwerk handelt, dann sind sich alle einig. Ebenso bei der totalen Bruchlandung. Aber zwischen diesen beiden gibt es noch viele, viele Schattierungen.

Und die Beurteilung, 

  • wo die Stärken und Schwächen eines Drehbuchs liegen, 
  • wo Entwicklungspotential schlummert und 
  • wo ein Stoff in einer Sackgasse steckt, 

ist selbst für Menschen mit einschlägiger Branchenerfahrung gar nicht immer so einfach …

Ein Teil davon ist immer Geschmacksfrage: Gefällt mir der Stoff oder nicht – also ganz persönlich. Aber davon abgesehen gibt es klare Indikatoren, woran du die Qualitäten eines Drehbuchs erkennen kannst.

Als professioneller Drehbuchautor (und Dramaturg, der unzählige Drehbücher jeder Qualitätsstufe verschlungen, bewertet und begleitet hat,) möchte ich dir im Folgenden Kriterien an die Hand geben, die dir beim Lesen und Einordnen eines Drehbuchs helfen.

Was ist ein Drehbuch?

Zunächst ist für die Beurteilung wichtig, was denn ein Drehbuch eigentlich ist. Es ist – und das ist nicht wertend gemeint – ein Arbeitspapier. Das heißt: Es ist nicht für die direkte und allgemeine Veröffentlichung gedacht, sondern es ist nur die Grundlage für das vorgesehene Endprodukt: Film oder Serie.

Ja, es gibt auch (offiziell) veröffentlichte Drehbücher; darauf kommen wir gleich nochmal zurück.

Das Drehbuch ist also ein Arbeits- bzw. – gerade am Anfang – Werbedokument, das meist in kleinen (Fach)kreisen herumgereicht wird. Ein Drehbuch wirbt für sich selbst, also für die zu verfilmende Story, aber auch für den*die Schreibende*n. 

Ein Drehbuch soll bei den Lesenden „Kopfkino“ erzeugen: Der geplante Film (oder die Serienfolge), soll vor dem inneren Auge der Leser*innen entstehen.

Später, wenn das Drehbuch tatsächlich verfilmt wird, werden ganz viele Faktoren die Story maßgeblich beeinflussen – und verändern: Casting, Inszenierung, Schauspiel, Kamera, Szenenbild, Schnitt, Tongestaltung und Musik.

Umso wichtiger, dass alle Beteiligten durch ein gutes Drehbuch mit einer ähnlichen Vision aufbrechen, um den Film zu machen. Je besser das Drehbuch, desto klarer diese Vision.

Drei Arten von Drehbüchern

Ich möchte prinzipiell drei Entwicklungsstufen von Drehbüchern unterschieden:

  1. Development-Drehbücher
  2. Drehfassungen
  3. Nachformatierte Drehbücher

Ich gehe sie zeitlich von hinten nach vorne durch.

Nachformatierte Drehbücher

Zunächst die letzte Form in der Entstehungsreihenfolge. Sie entsteht nach der Fertigstellung und auf Grundlage des finalen Films. Deshalb „nach“formatiert.

Diese Drehbücher stellen den fertigen Film meist eins zu eins dar und werden teilweise als gedruckte Werke oder offizielle PDFs veröffentlicht.

Beispiel: Fast alle oscarnominierten Drehbücher erscheinen in dieser Form. Dies ist nicht die Drehfassung des Films, sondern eine nachbearbeitete Fassung, die eventuelle Änderungen beim Dreh und im Schnitt berücksichtigt – und das (unweigerliche) Chaos einer Drehfassung aufräumt.

Drehfassungen

Kurz vor dem Dreh einigen sich die Beteiligten auf eine DREHFASSUNG: 

Diese Form des Drehbuchs wird so aufbereitet, dass alle Gewerke jeweils ihre, für die Verfilmung „überlebenswichtigen“ Informationen, herauslesen können.

Dabei werden letzte Änderungen oft unter großem Zeitdruck vorgenommen. Alle, die das Drehbuch in die Hand bekommen, wissen bereits, worum es geht – und noch wichtiger: Sie sind auch schon an Bord. So müssen diese letzten Änderungen nicht mehr besonders mitreißend klingen, sondern nur ihre FUNKTION erfüllen.

Diese Drehbücher sind für Außenstehende eher mühsam zu lesen: Hier sind 

  • aus organisatorischen Gründen alle einzelnen Szenen getrennt,
  • sie erhalten Szenennummern und Scene-Header,
  • vor jeder neuen Szene gibt es einen Seitenumbruch, 
  • auch gestrichene Szenen sind enthalten und werden mit „omitted“ bzw. „gestrichen“ markiert
  • und Änderungen werden schnell und ohne großes Flair hineingeschrieben.

Development-Drehbücher

Dieser Begriff dient hier zur Unterscheidung, es ist kein offizieller Begriff. Ich fasse darunter alle Drehbücher zusammen, die noch nicht in einer Drehfassung vorliegen oder sogar nach der Veröffentlichung des Films ebenfalls veröffentlicht werden.

Die meisten Drehbücher dürften sich in dieser Form befinden.

Development-Drehbücher können im stillen Kämmerchen als „Spec-Script“ entstehen, also als Drehbuch, dass die*der Autor*in erstmal ohne Auftrag für sich schreibt und mit denen sie*er darauf „spekuliert“, das Drehbuch später zu verkaufen (engl. „on speculation“).

Ich schließe unter dem Begriff aber auch all die Drehbücher ein, die schon mit dem Auftrag einer Produktionsfirma, eines Senders oder Verleihers entwickelt werden, nur noch nicht kurz vor der Verfilmung stehen.

Denn in beiden Fällen müssen die Drehbücher in dieser Phase noch mehrere Fassungen durchlaufen. Sie müssen alle Beteiligten so von ihrer Geschichte überzeugen, dass diese Geld oder Arbeitskraft in die Verfilmung des Drehbuchs stecken.

Und je besser das Drehbuch, desto überzeugender.

Kriterien für ein gutes Drehbuch

Was macht aber nun ein Drehbuch gut? 

Es gibt tausend verschiedene Wege, eine Geschichte zu erzählen, selbst in so einer restriktiven Form wie im Drehbuch. Und es gibt tausend verschiedene Wege, Szenen zu schreiben. Da gibt es nicht den EINEN Weg, der IMMER funktionieren wird.

Es gibt keine Erfolgsformel für ein perfektes Drehbuch.

Alle, die schon ein paar Drehbücher gelesen haben, bemerken, wie unterschiedlich der Leseeindruck von einer Geschichte zur anderen Geschichte sein kann, wie unterschiedlich die Stilistik und der Ton – obwohl alle mehr oder weniger im selben Drehbuch-Format schreiben.

Wie bei allem in der Kunst, kann man*sie sich trefflich streiten, was geschmacklich ein gutes oder ein schlechtes Drehbuch ist.

Allerdings glaube ich, dass es auf handwerklicher und emotionaler Ebene Faktoren gibt, die als Gradmesser dazu dienen können, ob das Drehbuch eine große Schnittmenge von Menschen überzeugen kann.

Was sind also diese Gradmesser für ein gutes Drehbuch?

1. Ich lese es gerne

Ganz simpel: Lese ich das Drehbuch gerne?

  • Möchte ich von Seite zu Seite wissen, was auf der nächsten passiert?
  • Lese ich freiwillig bis zum Schluss?
  • Packt mich die Story?
  • Will ich wissen, wie sie ausgeht?
  • Vergesse ich die Zeit beim Lesen?
  • Hinterlässt das Drehbuch einen bleibenden Eindruck? 

Lesespaß beruht natürlich auf Bauchgefühl und ist sehr subjektiv. Dennoch: Kein Lesespaß, kein gutes Drehbuch. So einfach ist das manchmal.

2. Bilder im Kopf

Im Medium Film müssen wir Emotionen und Gefühle sichtbar machen. So ist die Frage beim Drehbuch:

  • Lässt es bei mir Bilder im Kopf entstehen?
  • Sehe ich den Film vor mir?
  • Gibt es Bilder, die bei mir emotional etwas auslösen?
  • Z. B. weil sie überraschend, anrührend, komisch, tragisch, aber auch stimmig im Zuge der Geschichte sind?
  • Bleiben sie hängen?

Klar: Der Film im Kopf wird nie zu hundertprozentig bei allen Leser*innen identisch sein, weil alle nun mal andere Vorstellungen haben und auch der Faktor Geschmack eine Rolle spielt. Aber je mehr das Drehbuch eine ausgeprägte Bildwelt besitzt, desto ähnlicher wird das sein, was alle Lesenden im Kopf haben.

3. Spannende & nachvollziehbare Konflikte

Eine einzelne Szene kann auch als eigener Mini-Film verstanden werden, in dem sich uns die Figuren ein Stück weit offenbaren. Nur durch Konflikte begreifen wir: Wer sind diese Charaktere wirklich? Konflikte sorgen also für Emotion, Spannung, Tragik, Komik und bringen uns dadurch die Figuren näher.

Beim Drehbuch sollten wir uns fragen:

  • Haben die Figuren im Drehbuch Konflikte, denen ich gerne folge?
  • Versteht der*die Autor*in es, spannende Szenen zu schreiben?
  • Komme ich den Figuren darüber näher?

Konflikte sind für ein gelungenes Drehbuch essenziell – übrigens egal ob laut oder leise.

4. Überraschungsmomente

Ich will überrascht werden. Beim Lesen will ich etwas, wo ich sage: „Was?! Wow! Wirklich? Und jetzt?“

  • Überrascht mich das Drehbuch?
  • Sind die Überraschungen im Einklang mit der Story und entsprechend vorbereitet?

Denn ganz wichtig: Damit meine ich keine willkürlichen Überraschungen aus heiterem Himmel. Sondern: überraschende Wendungen, Handlungen und Reaktionen, die in der Geschichte angelegt oder aufgebaut wurden, die mir neue Erkenntnisse über Figuren und Story geben. Originalität entsteht durch klug vorbereitete Überraschungsmomente.

5. Zuspitzung

Kein „und dann …, und dann …, und dann …“. Sondern:

  • Habe ich das Gefühl, dass sich die Dramatik der Geschichte steigert?
  • Folgen Dinge nicht nur wahllos aufeinander, sondern findet eine dramatische Zuspitzung statt?

Klar gibt es während der Erzählung viele Auf und Abs und Dynamik-Umschwünge. Aber insgesamt sollte der Trend der Spannungskurve nach oben gehen. Und mit Spannung meine ich jetzt nicht nur Thriller-Spannung. Ich meine dramatische Spannung, die auch ein leises, intimes Drama entwickeln sollte.

6. Authentische Dialoge

Wenn Figuren miteinander sprechen:

  • Unterhalten mich die Dialoge?
  • Habe ich trotzdem das Gefühl, dass Leute tatsächlich so reden?
  • Haben alle Figuren ihren jeweils eigenen Sprachstil oder klingen sie allesamt gleich und sorgen so bald für Monotonie?

Wichtig: Film- und Serien-Dialog ist niemals eins zu eins Alltags-Dialog. Im Alltag reden wir alle recht unzusammenhängendes, wirres Zeug. Echte Gespräche arbeiten sich durch viele Wiederholungen und unnötige Umwege zu einem Punkt – oder vielleicht auch nie.

Probiere es gerne aus und lese dir eine transkribierte Unterhaltung durch: Du wirst viele redundante Schleifen und Gedankensprünge bemerken.

In Serie und Film hingegen muss Dialog kondensiert und auf den Punkt gebracht werden. Die Kunst dabei ist dann, dass es sich trotzdem noch authentisch anhört. Also, dass der Sprachstil und die Wortwahl, zur Figur und zur Welt der Geschichte passen. 

7. Gespür für die Figuren

Betrachte die Figuren:

  • Erhalte ich ein Gespür für sie?
  • Merke ich, was sie antreibt, was ihr Grundkonflikt ist, was sie verhandeln?

Gerade weil wir ja im Film als visuelles Medium nicht ins Innere von Figuren schauen können, müssen diese Dinge in einem guten Drehbuch in dramatischen Handlungen veräußerlicht sein.

8. Befriedigendes Ende

… Ende.

  • Hat das Drehbuch ein gutes Ende? Reißt es mich auf irgendeiner Ebene mit?
  • Ist es die Konklusion, die die jeweilige Story verdient?

Das heißt natürlich nicht, dass es immer Happy-Ends geben muss. Ganz und gar nicht. Ein Happy End kann toll sein – wenn es die Story verlangt. Aber auch tragische, bittersüße oder offene Enden können eine Story gebührend abschließen.

Das Ende darf nur eines nicht: Mich beim Lesen kaltlassen …

9. Format bedacht

Das Endformat gibt klare Ziele vor: Wenn also ein Drehbuch z. B. für einen Fernsehfilm geschrieben wurde, dann verfehlt es mit 250 Seiten ganz eindeutig sein Ziel. Denn ein Fernsehfilm dauert in der Regel 90 Minuten.

  • Passt das Drehbuch also zum angepeilten Format?
  • Zeigt hier jemand durch das gewählte Format und den Umfang, zu wissen, worum es geht?

Und auch wenn eine Drehbuchseite nur ungefähr einer Filmminute entspricht, so sollte die Länge des Drehbuchs zur Länge des gewünschten Zielformates passen.

10. Rechtschreibfehler / Formatierung

Einen Punkt, den ich erstmal – mit Ausnahmen – locker sehen würde, sind die „korrekte“ Formatierung sowie Rechtschreibfehler.

Alle formatierten ihre Drehbücher etwas anders. Z. B. die einen mehr „deutsch“, die anderen mehr „amerikanisch“. Und niemand interessiert sich für Spitzfindigkeiten.

Aber wer nicht mal ansatzweise weiß, wie ein Drehbuch aussieht, die*der hat sich nicht mit der Materie beschäftigt. Und wer sich nicht mit der eigenen Materie beschäftigt, hat als professionelle*r Drehbuchautor*in keine Chance.

Beim Thema Rechtschreibung sind die meisten recht flexibel: Denn das Drehbuch wird ja in der Regel nie gedruckt. Wenn einen die fehlerhafte Orthografie und Grammatik aber die Story an die Grenze der Verständlichkeit bringt, dann ist das ein Problem.

Was ist die DNA des Drehbuchs?

Gerade in frühen Fassungen läuft bei einem Drehbuch selten schon alles rund. Und manchmal verdecken einige offensichtliche Schwächen unseren Blick auf den Kern des Drehbuchs. Dieser ist so etwas wie die DNA der Geschichte. Als Schreibende ist sie uns manchmal bewusst, manchmal finden wir sie aber auch erst im Schreibprozess.

Als Lesende müssen wir herausfinden:

  1. Ist der Kern des Drehbuchs vielversprechend, obwohl die Ausführung noch Schwächen hat?
  2. Oder gibt es im Kern des Buchs fundamentale Probleme, die die Ursache der erkennbaren Schwächen sind? 

Egal, auf welchem Weg wir uns der DNA des Drehbuchs nähern: ab einem gewissen Punkt müssen wir uns den dramatischen Kern bewusst machen, ihn ausbauen und zuspitzen.

Als Schreibende*r muss dich diese DNA faszinieren und bei der Stange halten: Denn an ihr sind die Story und ihre Emotionen aufgehängt. Ohne diesen Kern wird das Drehbuch früher oder später zerfallen.

Als Zuschauer*innen muss uns der dramatische Kern nie bewusst werden – solange er uns über die Geschichte in seinen Bann zieht.

Doch als Lesende, die über die Qualität eines Drehbuchs entscheiden sollen, müssen wir lernen, den Kern zu finden und zu durchleuchten. Dies sollte mit einer Mischung aus Bauchgefühl und Analyse geschehen. Wenn sich etwas „falsch“ anfühlt (Bauchgefühl), dann muss es dafür einen handwerklichen Grund geben, dem wir in der Analyse des dramatischen Erzählkerns auf die Spur kommen können.

Verschiedene Lesende, verschiedene Interessen

In der professionellen Film- und Serienproduktion muss ein Drehbuch am Ende viele verschiedene Leser*innen zufriedenstellen, um all die nötigen Hürden zur Produktionsreife zu überspringen.

Und all diese professionellen Leser*innen blicken durch ihre ganz spezielle „Brille“ auf das Drehbuch. Sie sind das „erste Publikum“, das das Drehbuch bewertet, also sich fragen, ob sie die Geschichte auf einer oder mehreren Ebenen mitreißt.

Denn alle stellen sich in irgendeiner Form die Frage: Will ich mit dieser Geschichte (Lebens-)Zeit verbringen und meine Energie hineinstecken?

Doch als Schreibende sollten wir uns bewusst machen, dass die verschiedenen Gewerke darüber hinaus noch andere Schwerpunkte legen, wenn sie ein Drehbuch vorgelegt bekommen.

Der Blick von Produzent*innen auf Drehbücher

Für ein*e Produzent*in wird – abgesehen vom individuellen Geschmack – eine ganz wichtige Frage sein: Ist das Drehbuch kommerziell verwertbar und wo? Ist es ein TV-Stoff? Kino? Streaming? Web-basiert?

Kommerziell verwertbar heißt in diesem Kontext übrigens nicht, dass nur Mainstream-Stoffe in Betracht gezogen werden. Denn auch Nischen-Stoffe (Genre, Arthouse etc.) haben ihr Publikum und können unter den entsprechenden Rahmenbedingungen kommerziell erfolgreich sein.

Und damit kommen wir zum nächsten Thema:

Zielgruppe

Als Schreibende machen wir uns selten bei der allerersten Ideenfindung sofort Gedanken über eine Zielgruppe für unseren Stoff. Und das ist auch gut so: Denn es ist wichtig, erst einmal ohne solche Zwänge nach einer Story zu suchen, die uns fasziniert und zu uns spricht.

Doch wenn wir die Geschichte gefunden haben, dann sollten wir uns überlegen:

  • Für wen könnte sie eigentlich interessant, wem könnte sie gefallen?
  • Welche*r Verwerter*in oder welches Format könnte passen?

Denn genau diese Fragen werden sich die Produzent*innen stellen, wenn sie unseren Stoff lesen. Wenn sie keine Idee bekommen, wo sie mit dem Stoff hingehen können, dann werden sie ihn vermutlich ablehnen. Selbst wenn er ihnen persönlich gefällt.

Die Frage ist also 

  • welcher Sender, 
  • welche Redaktion, 
  • welche Plattform 
  • welcher Streamer oder 
  • welche*r Verleiher*in 

sich dafür interessieren könnte. 

Eng damit verbunden ist die Frage: Wie groß ist das Publikum, das sich für den Stoff interessieren könnte? Manche Abnehmer produzieren sowohl Mainstream-, als auch Nischenprogramm, manche nur eines von beiden.

Kosten

Und hieraus ergibt sich direkt die nächste Frage: die Kosten.

Ein Drehbuch mit

  • vielen (z. B. historischen) Schauplätzen, 
  • vielen Darsteller*innen sowie Kompars*innen
  • vielen (visuelle) Effekten 

sowie mit

  • Kinderrollen, Tieren und Stunts,
  • vielen Außenschauplätzen bei Nacht, 
  • extremen Schauplätzen wie Wüste, Meer oder Luft

wird in der Umsetzung teurer sein, als z. B. 

  • ein Kammerspiel (alles spielt – mehr oder weniger – an einem Ort oder im selben Raum) 
  • mit nur zwei bis drei Darsteller*innen.

Die einfache Mathematik dabei: Je teurer, desto mehr Publikum muss ein Drehbuch ansprechen.

Ein teurer Nischenfilm ist zwar nicht unmöglich, muss dann aber ein globales Publikum ansprechen (und entsprechend aufgestellt sein), damit am Ende die Rechnung für alle aufgeht. Ein günstiges Kammerspiel kann hingegen auch mit viel kleinerer Zielgruppe erfolgreich sein.

Teuer, kombiniert mit kleiner, spitzer Zielgruppe und einem unklaren Format wird aus produzentischer Sicht schwierig (sprich: schnell unmöglich) werden. Dann muss das Drehbuch schon absolut genial sein und viele prestigeträchtige Preise in Aussicht stellen, was wiederum anderweitig zu kommerziellem Erfolg führen kann.

Arbeitsprobe

Aber nicht nur ein verkauftes und verfilmtes Drehbuch ist ein „erfolgreiches“ und damit gutes Drehbuch. Denn es kann für Produzent*innen auch um die Akquise von Talenten gehen.

So kann es sein, dass sie ein Drehbuch lesen, für das sie weder Abnehmer*innen noch Zielgruppe haben und dennoch von der Qualität des Drehbuchs und der Stimme des*der Schreibenden mitgerissen werden.

Ganz oft kommen Autor*innen so an Jobs. Denn der*die Produzent*in kann nach so einer Lektüre gerne ein Projekt finden wollen, bei dem sie*er mit der*dem Autor*in zusammenarbeiten werden. Und so kann es in dieser personellen Konstellation zu einem anderen Drehbuch- und Film-Projekt kommen.

In diesem Fall war das Drehbuch gut – als Arbeitsprobe. 

„Beutemuster“

Und manchmal ist es auch andersherum. Vielleicht findet der*die Produzent*in das Drehbuch noch ausbaufähig, aber das Thema, Genre oder die Welt, in der das Drehbuch spielt oder die Hauptfiguren passen genau zu dem, was ein/e Sender/Redaktion/Streamer gerade sucht.

Dann sind Produzent*innen durchaus bereit, Zeit und Energie in ein Projekt zu stecken, um mit der*dem Autor*in das Drehbuch auf ein höheres Niveau zu bringen – um damit dann zu den anvisierten Abnehmer*innen zu gehen.

Schauspieler*innen und Drehbücher

Für Schauspieler*innen liegt beim Lesen eines Drehbuchs der Fokus wohl vor allem auf den Figuren: Gibt es einen interessanten Part, der sie*ihn anspricht? Was dabei ansprechend sein kann, ist natürlich individuell verschieden. Aber allgemein lässt sich sagen, dass

  • Rollen, die eine schauspielerische Herausforderung darstellen,
  • Charaktere, die eine innere Zerrissenheit oder ein großes Dilemma in sich tragen,
  • Figuren, die in großen dramatischen Konflikten stehen oder
  • überraschende und ungewöhnliche Rollen

immer gesucht sind.

Gibt es also bei dem Drehbuch Rollen, die besonders hervorstechen? Wenn nicht – welche Figur könnte dann zu einer solch verlockenden Rolle ausgebaut werden?

Solche Überlegungen können das Drehbuch in der nächsten Überarbeitung auch storytechnisch auf ein neues Niveau bringen.

Regisseur*innen

Bei Regisseur*innen ist es weniger einfach, einen ganz spezifischen Blick auszumachen. Da die Regie das gesamte Werk inszenieren muss, muss sie auch vom Werk als Ganzes angetan sein.

Und ob nun ein*e Regisseur*in auf die visuellen Umsetzmöglichkeiten, auf facettenreiche Figuren oder vielleicht auf die spezifische Tonalität anspringt, ist individuell sehr verschieden. 

Das Drehbuch muss bei ihnen schlicht den Wunsch auslösen, es inszenieren zu wollen.

Wie kann ich mein eigenes Drehbuch einschätzen?

Eher schwierig: Erkenne ich auch, ob mein eigenes Drehbuch ein gutes Drehbuch ist?

Die eigene künstlerische Arbeit objektiv einzuschätzen, ist fast unmöglich. Denn wenn du nicht überzeugt bist von deinem Stoff, wirst du wahrscheinlich nicht damit hausieren gehen. Gleichzeitig haben alle Autor*in beim Blick auf das eigene Werk viele blinde Flecken.

Oft übersieht man*sie fundamentale Fragen, die sich ein*e unbedarfte*r Erstleser*in sofort stellten wird. Als Schreibende ergänzen wir viele Aspekte der Story selbst im Kopf, die sich rein auf dem Papier noch gar nicht vermitteln.

Und andererseits hat jede*r Autor*in, den*die ich kenne, auch eine*n große*n Zweifler*in in sich. Jedes Werk, das wir aus der Hand geben, macht uns verletzlich. Oft schwanken wir also wild zwischen Größenwahn und Versagensangst.

Dieses emotionale Chaos macht die Beurteilung des eigenen Werks sehr schwer. Mit wachsender Erfahrung mag es etwas besser gelingen – aber auch dann ist man*sie vor Überraschungen nicht sicher.

Noch heute gibt es beide Stimmen in mir, wenn ich eine neue Fassung eines Stoffes abschicke.

Insofern mein Tipp: Hole immer auch andere (vertrauenswürdige) Meinungen ein, um deine Stoffe besser einschätzen zu können.

Wie wirst du qualifizierte*r Drehbuch-Leser*in?

Ein Drehbuch gezielt beurteilen zu können, braucht Übung. Und um dieses Talent zu schulen, empfehle ich Folgendes:

Drehbücher lesen

Wer zu wenige Drehbücher gelesen hat, der*dem fehlt ein wichtiger Referenzrahmen um zu beurteilen ob ein Buch über, unter oder Durchschnitt ist. Um diesen Durchschnitt zu erarbeiten, hilft nur das Lesen vieler Drehbücher.

Über Drehbücher lesen

Es gibt gute Fachliteratur über das Drehbuchschreiben. Und zum Beurteilen von Drehbüchern kann ich „Die Kunst des Drehbuchlesens“ von Oliver Schütte uneingeschränkt empfehlen. Ich finde, es erläutert viele Funktionsweisen der Dramaturgie sehr gut.

Zudem empfehle ich up-to-date zu sein, was gerade so los ist in der Film- und Serienlandschaft im eigenen Land/Markt oder dem Land/Markt, für das/den du gerade arbeitest. Jemand, die*der nur Hollywoodfilme schaut, wird es schwer haben einen deutschen Fernsehstoff zu beurteilen und umgekehrt.

Eigenes Drehbuch schreiben

Ich würde jeder*jedem, der professionell Drehbücher beurteilen will, empfehlen, selbst eines zu schreiben. Oder es zumindest zu versuchen. Denn dieser Prozess des Selbstmachens führt die die Materie noch wesentlich plastischer vor Augen, als jede Theorie. Es führt zu einem besseren Verständnis von Stoffen.

Fazit

Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Und auch in Drehbuchform muss sie packend sein.

  • Wenn sie sich gut liest und Bilder im Kopf entstehen, dann ist ein Drehbuch auf einem guten Weg.
  • Wenn es spannend und nachvollziehbare Konflikte, Überraschungen und eine Zuspitzung gibt, stehen die Zeichen noch besser.
  • Wenn das Drehbuch zudem authentische Dialoge, ein Gespür für die Figuren und ein befriedigendes Ende hat, dann schaut es sehr gut aus.
  • Zudem spielt die Zielgruppe besonders aus produzentischer Sicht eine wichtige Rolle.

Ein Drehbuch muss nicht unbedingt verfilmt werden, um gut zu sein. Es kann als Arbeitsprobe auch andere Möglichkeiten eröffnen. 

Das eigene Drehbuch zu beurteilen ist sehr schwierig, aber jede*r kann sich die Qualifikation zum Beurteiler*in für Drehbüchern erarbeiten, durch das Lesen von vielen Drehbüchern, der Beschäftigung mit dem Markt/Land und dem Drehbuchschreiben selbst.

Viele gute Drehbücher!

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Florian Puchert
Florian Puchert
Freier Drehbuchautor, Regisseur und Dramaturg. Honorarprofessor für Drehbuch am Lehrstuhl Creative Writing bei Doris Dörrie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.
Storyboard von Benjamin Kniebe
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